Disruption mit langem Atem – Gedanken zur Vergabe des Nobelpreises für Physik 2024

Peter Delius
CEO Lingoplanet GmbH

Die Künstliche Intelligenz (KI) ist eins der bestimmenden Themen unserer Zeit. Doch so plötzlich wie es scheint, ist sie nicht vom Himmel gefallen: Der Nobelpreis für Physik 2024 wird zwei Forschern verliehen, die schon vor über 40 Jahren Grundlagen für heutige KI-Anwendungen schufen.

John Hopfield und Geoffrey Hinton, die 2024 den Nobelpreis für Physik erhalten, haben mit ihrer Grundlagenforschung im Bereich des maschinellen Lernens die Entwicklung der modernen Künstlichen Intelligenz (KI) maßgeblich geprägt.

Der Physiker und Neurowissenschaftler John Hopfield stellte 1982 das “Hopfield-Netzwerk” vor. Mit diesem Konzept legte er den Grundstein für die Idee, dass neuronale Netzwerke für Mustererkennung und Gedächtnisprozesse verwendet werden können, eine Grundlage, die die heutige KI stark beeinflusst hat.

Geoffrey Hinton, der als einer der „Väter des Deep Learning“ bezeichnet wird, entwickelte revolutionäre Techniken, die es ermöglichen, tiefe neuronale Netzwerke zu trainieren, die in der Lage sind, komplexe Muster in großen Datenmengen zu erkennen. Damit schuf er die Basis für moderne KI-Anwendungen wie Bilderkennung und Sprachverarbeitung.

 

KI vs. persönlicher Unterricht

Als Online-Sprachenschule nutzen wir bei Lingoplanet die KI heute bei der Kursvorbereitung und demnächst auch in unserer Trainingsapp. Aber wir setzen im Unterricht weiterhin und nachdrücklich auf ausgezeichnete, erfahrene, motivierende und sympathische menschliche Lehrkräfte. Und auf den direkten Austausch mit unseren Firmenkunden, von denen jeder seine ganz individuellen Bedürfnisse hat, denen wir entsprechen möchten.

Natürlich bleibt der Entwicklungsprozess auch im Aus- und Fortbildungsbereich dynamisch. Mit der schnell zunehmenden Automatisierung ändert sich das Rezeptionsverhalten der Lernenden und deshalb ist davon auszugehen, dass KI-gestützte Lehrmittel eine immer zentralere Rolle spielen werden – und zwar nicht allein vor und nach dem Unterricht (und natürlich ganz autark als App), sondern auch während der Live-Sessions, egal ob die online oder in Präsenz abgehalten werden. Digitale Lehrwerke im Live-Unterricht werden nicht länger linear einem vorbereiteten Kurrikulum folgen und Übungssequenzen werden in Realtime genau auf die Lernenden zugeschnitten. Außerdem kann der (Sprach-)Unterricht mit privaten wie auch beruflichen Anwendungen synchronisiert werden, so dass die Übergänge von „Lernen“ (im jeweiligen Kurs) und „Leben“ (außerhalb des Kurses) fließend sind. Davon haben übrigens schon die antiken Römer gesprochen („Non scholae sed vitae discimus.“)

All dies kann zu einem noch zielgerichteteren Lernverhalten führen. Wenn es möglich ist, relevante Lerninhalte bei Bedarf abzurufen, wird immer mehr Lernenden eine breit angelegte Ausbildung unnötig erscheinen: Man lernt und trainiert im Kurzstreckenrhythmus. Entsprechend kurzfristige Erfolge können motivierend wirken, so dass weitere Lernetappen hinzukommen. Das ist ein positiver Aspekt neben dem der größeren Barrierefreiheit einer solchen Lernmethode. Doch haben Fragmentierung und fehlende Systematik natürlich auch ihre bekannten Schattenseiten.

Die Rolle der Lehrenden ändert sich in diesem Prozess vor allem für diejenigen, die gerne vorgegebenen Linien und Unterrichtsstrukturen folgen. Andere – insbesondere im privaten Sektor – sehen sich schon lange als Moderatoren, die ihren Unterricht zwar planvoll, aber doch auch situativ flexibel gestalten. Die Fähigkeit, passende Lehrinhalte und Übungen zusammenzustellen und die Lernenden „mitzunehmen“ ist tatsächlich mit den Aufgaben eines Moderators gut zu vergleichen. Oder, weiter gedacht, mit denen eines DJs, der Stücke so mixt, dass sie die Tanzenden erreichen und dass die Party großartig wird.

 

Fazit: Der Mensch steht im Mittelpunkt

Fortschrittsoptimisten und -skeptiker haben unterschiedliche Haltungen zu den KI-getriebenen Entwicklungen, die sich abzeichnen. Die Schnittmenge von Hoffnungen wie auch Befürchtungen ist dabei der Mensch. Und dennoch wird der menschliche Faktor in den Visionen und Diskussionen oft unterbewertet. Rudolf Augstein, Gründer des Magazins SPIEGEL, hat gesagt, dass nichts den Menschen so sehr interessiert wie der Mensch. Dem kann man hinzufügen, dass auch nichts den Menschen so sehr motiviert wie der Mensch: Ein (Sprach-)Kurs mit motivierender Lehrkraft und anderen Teilnehmenden in der Gruppe wird niemals durch Automatisierung ersetzt werden können. Entscheidend also wird es sein, neue KI-Tools so einzusetzen, dass sie den Lernprozess bestmöglich unterstützen – und dabei den Menschen im Mittelpunkt zu behalten.