Spielt sprachliche und interkulturelle Kompetenz von Menschen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz überhaupt noch eine Rolle?

Antje Witzel
Antje Witzel
CEO Lingoplanet GmbH

Seit nunmehr einigen Jahren schon hat die künstliche Intelligenz dazu beigetragen, die Kommunikation zwischen Unternehmen verschiedener Länder und Kulturen immens zu erleichtern.

  1. Die Rolle der künstlichen Intelligenz in der mündlichen Kommunikation
  2. Die Bedeutung von interkultureller Kompetenz in der Geschäftswelt
  3. Die Herausforderungen inter­kultureller Kommunikation
  4. Interkulturelle Spannungen und Miss­ver­ständnisse in der Geschäfts­kommunikation
  5. Die Förderung von Sprache als Schlüssel­element inter­kultureller Kompetenz
  6. Möglichkeiten effektiven Sprachtrainings
  7. Fazit: Sprachliche und inter­kulturelle Kompetenz bleiben unverzichtbar in der Geschäftswelt

 

Die Übersetzung von Texten durch Programme wie DeepL, Systran, Microsoft Translator,  Google Translate oder  Amazon Translate ermöglicht es, im Handumdrehen die Aussage einer in einer anderen Sprache verfassten Mail, den Inhalt einer Rechnung oder einer Gebrauchsanweisung zu verstehen und darauf zu reagieren. Die Untertitel, die man beispielsweise bei Zoom, Cisco Webex, Google Meet und Microsoft Teams -Sitzungen während Vorträgen und Präsentationen aktivieren kann, helfen den Sitzungsteilnehmer:innen, zumindest im Großen und Ganzen zu verstehen, worum es geht.

Lohnt es sich, im Zuge zunehmend perfekter, sprachlich die menschlichen Kapazitäten bald überflügelnder KI, die Sprache des Gesprächspartners oder Kunden überhaupt noch zu lernen?

Sollte wertvolle Zeit in Zukunft nicht besser „produktiver“ investiert werden als in Sprachkurse für Firmenmitarbeiter:innen, die das Unternehmen scheinbar nur Geld und Arbeitszeit kosten?

1. Die Rolle der künstlichen Intelligenz in der mündlichen Kommunikation

In der Geschäftswelt dient Sprache spezifischen Funktionen und Zielsetzungen. Sie ist die Voraussetzung und das Instrument jeder Verhandlung und jedes erfolgreich abgeschlossenen Geschäftsvertrages. Die Sprache von Kunden und Partnerunternehmen zu beherrschen,  bedeutet jedoch nicht einfach, den Wortsinn sprachlicher Aussagen zu begreifen oder in einer anderen Sprache wiederzugeben. Das kann die KI tatsächlich bald sehr viel schneller und präziser als die meisten Menschen nach langjährigen Sprachkursen. Die unverzichtbare Berücksichtigung außersprachlicher Komponenten in der mündlichen Kommunikation hingegen wird in absehbarer Zukunft wohl kaum von der KI allein bewältigt werden können, denn zu viele Faktoren fließen in die zwischenmenschliche Interaktion mit ein: kulturspezifische Handlungsmuster, die richtige Interpretation von und Reaktion auf das Verhalten des Gegenübers können ausschlaggebend für den Erfolg oder Misserfolg einer Verhandlung sein.

2. Die Bedeutung von interkultureller Kompetenz in der Geschäftswelt

Zur erfolgreichen Kommunikation zwischen Gesprächspartnern verschiedener Sprachen und Kulturkreise müssen diese Vertrauen zueinander entwickeln. Vertrauen entsteht aber nicht nur durch richtige Terminologie, sondern auch den richtigen Ton, das richtige Register, den richtigen Grad an Formalität, den richtigen Abstand. Oft sind bei einem Business-Meeting die ersten Minuten entscheidend.  Klassische Beispiele interkultureller Spannungen und Missverständnisse sind beispielsweise die unterschiedliche Art und Weise, mit der westliche und japanische Geschäftsleute eine Geschäftsverhandlung beginnen: Während westliche Geschäftsleute möglichst schnell zur Sache kommen wollen, beginnt man in Japan immer erst mit einem freundlichen Smalltalk über die aktuelle Jahreszeit, die Kirschblüten, die Sommerhitze, das Herbstlaub, den Schnee.

3. Die Herausforderungen inter­kultureller Kommunikation

Aber auch im Small Talk von Firmenmitarbeiter:innen oder Verhandlungspartner:innen unterschiedlicher Kulturen kann die Wort- oder Themenwahl über die zukünftige erfolgreiche Zusammenarbeit entscheiden. Bestimmte Fragen, beispielsweise nach dem Gehalt, Alter, Zivilstand oder selbst nach dem Weg zur Toilette können in einer Kultur völlig akzeptabel sein, in einer anderen tabu.

Interkulturelle Spannungen oder Missverständnisse können aber selbst zwischen augenscheinlich ähnlicheren Kulturen entstehen: Beispielsweise beginnen britische Geschäftsleute eine Präsentation oft gerne mit einem Witz, amerikanische mit einer Anekdote. Deutsche Unternehmensvertreter:innen hingegen sind damit sehr viel zurückhaltender, da sie Angst haben, das könnte unseriös wirken.

Die Frage, ob eine Verhandlung, ein Messebesuch oder eine Panel-Diskussion ein Erfolg war oder nicht, wird von Menschen verschiedener Kulturen unterschiedlich wahrgenommen. So legen manche Kulturen größeres Gewicht auf die reibungslose Organisation einer Tagung, während Teilnehmer:innen anderer Länder eher bereit sind, Abstriche am pannenfreien Ablauf zu machen, wenn sie das Gefühl haben, dass der sachbezogene Gedankenaustausch für alle Beteiligten gewinnbringend war.

4. Interkulturelle Spannungen und Miss­ver­ständnisse in der Geschäfts­kommunikation

In der globalen Unternehmenskommunikation findet Sprache niemals in einem Vakuum statt, sondern besteht aus einer konkreten Interaktion zwischen Menschen verschiedener Kulturen in einem spezifischen Kontext. Die Verhaltensweisen der Gesprächspartner sind dabei von vielen Variablen geprägt: sprachlichen, aber auch erziehungs-, bildungs- und kulturspezifischen sowie aus der Situation heraus entstehender Variablen wie die physische Nähe des Verhandlungspartners, sein Aussehen, sein Geruch, sein direkter oder indirekter Blick, sein Akzent, sein Tonfall.

Wenn ein Business Deal nicht zustande kommt, liegt es oft daran, dass die Verhandlungspartner die Bedeutung der Feinheiten von Sprache und Kultur unterschätzen bzw. gar nicht wahrnehmen. Nach einem geplatzten Deal wird die Schuld oft ausschließlich auf die inhaltliche Substanz des Geschäftsangebotes geschoben und nicht auf die Tatsache, dass der Verhandlungspartner/die Verhandlungspartnerin dem deutschen oder ausländischen Unternehmen aufgrund einer Reihe von sprachlichen und nonverbalen Faktoren einfach misstraut und nicht bereit war, sich auf einen in vielen Fällen millionenschweren Deal einzulassen.

5. Die Förderung von Sprache als Schlüssel­element inter­kultureller Kompetenz

Wie oben beschrieben, geht interkulturelle Kompetenz also über sprachliche Kompetenz hinaus. Trotzdem ist Sprache unerlässlich, um Zugang zur Denkweise von Kunden und Geschäftspartnern anderer Länder und Kulturen zu erhalten. Gelungene Sprachtrainings-Angebote in und außerhalb von Unternehmen sollten Sprache als grundlegendes Werkzeug erfolgreicher internationaler Unternehmenskommunikation wahrnehmen und vermitteln. Im Folgenden möchte ich einige Möglichkeiten von Kursen und Sprachangeboten nennen, die es Firmenmitarbeiter:innen ermöglichen, schnell und effektiv sprachliche Fortschritte zu machen.

Möglichkeiten effektiven Sprachtrainings

Inhouse-Sprachkurse für Mitarbeiter:innen

In Firmenkursen sollten Kursteilnehmer:innen sprachlich und kulturell sensibilisiert werden, so dass sie nicht nach Worteäquivalenz, sondern nach Wirkungs- und Funktionsäquivalenz streben. Wirksame B2B-Kurse beschränken sich niemals nur auf die Wort- und Textebene, sondern beziehen von Anfang an das Erarbeiten des Kommunikationskontextes, sowie kulturspezifischer Kommunikationsstrategien und -konventionen mit ein.

Dies kann u.a. mit Hilfe der Analyse von Interviews, Präsentationen und Gesprächen,  sowie einer Vielfalt an aktiven Rollenspielen geschehen, die den Gesprächssituationen ähneln, mit denen es die Kursteilnehmer:innen in ihrer Tätigkeit für das Unternehmen tatsächlich zu tun haben. So werden in Rollenspielen beispielsweise mögliche soziokulturelle Unterschiede der angenommenen Gesprächspartner:innen mitberücksichtigt: Ist es beispielsweise in seinem/ihrem Kulturkreis üblich, sofort klare, verbindliche Zusagen zu machen oder gibt es – wie beispielsweise im Japanischen – Wendungen, die verschiedene Interpretationen erlauben? Welche Tabus oder deplatzierte Themen gibt es im Kulturkreis der Gesprächspartner:innen? Sind Unternehmenskulturen in den Ländern der Gesprächspartner:innen eher hierarchisch oder egalitär? Wie kann man ein Gespräch so beginnen, dass sich ausländische Gesprächspartner:innen wohl fühlen, Vertrauen fassen und bereit sind, in eine Geschäftsbeziehung zu treten?

Innovative Formate zum sprachlichen und interkulturellen Training im Unternehmen

Unternehmen können jedoch sehr viel mehr tun, als ihren Mitarbeiter:innen reine Sprachkurse anzubieten. Denn entscheidend für sprachliche und interkulturelle Kompetenz ist die praktische Anwendung im Gespräch mit Kolleg:innen oder Muttersprachler:innen aus anderen Ländern.

Oft haben Firmenmitarbeiter:innen in Unternehmen mit Arbeitnehmer:innen verschiedener Länder in ihrer täglichen Arbeit zwar im Idealfall ohnehin die Möglichkeit, ihre Sprachkenntnisse direkt in der Praxis anzuwenden. Allerdings fehlt ihnen je nach Sprachniveau oft der Mut dazu. Sie haben Angst sich lächerlich zu machen, in Fettnäpfchen zu treten oder Sorge, dass ihre Kollegen oder Vorgesetzten von ihren Sprachkenntnissen wohlmöglich Rückschlüsse auf ihre fachliche Kompetenz ziehen könnten. Mehrsprachige Seminare und Firmen-Retreats mit vielfältigen sprachlichen Aktivitäten, die in ungezwungener Atmosphäre stattfinden, können dazu beitragen, das sprachliche und kulturelle Eis zu brechen. Auf diese Weise werden sogar gleich mindestens zwei Ziele erreicht: auf der einen Seite erproben und trainieren Mitarbeiter:innen ihre Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenzen in einer Gruppensituation, auf der anderen Seite wird das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Corporate Identity gestärkt.

Darüber hinaus können Unternehmen einen virtuellen Raum (Forum) im firmeninternen Intranet oder auf einer Community Platform wie moodle.org oder microsoft.com schaffen, der gezielt für den sprachlichen Austausch zwischen Kolleg:innen genutzt wird. Versierte B2B-Sprachkursanbieter stehen den Unternehmen mit ihrer didaktischen Beratung, Themen und Material für den sprachlichen Austausch beim Aufbau eines solchen Forums zur Seite.

Weitere Trainingsmöglichkeiten

Manche Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter:innen für eine bestimmte Zeit in ein anderes Land, damit sie vor Ort ihre Sprachkenntnisse durch die tägliche Anwendung der Sprache schneller als im eigenen Land verbessern. Gleichzeitig haben sie dadurch Gelegenheit, die kulturellen Eigenheiten des Landes unmittelbar zu erfahren. Ein solches „Eintauchen“ (Immersion) in die Sprache und Kultur eines anderen Landes ist entweder im Rahmen einer Freistellung des/der Mitarbeiter:in für die Dauer des Sprachauftenthaltes oder im Rahmen seiner/ihrer beruflichen Tätigkeit mittels eines Austausches zwischen Fachkräften von Partnerunternehmen möglich. Einige B2B-Sprachkursanbieter bieten spezifische Immersionsprogramme für Berufstätige oder helfen Firmen dabei, im Ausland den geeigneten Kurs oder Sprachpartner zu finden.

Selbststudium

Oft wünschen sich Firmenmitarbeiter:innen, auch außerhalb von Kursangeboten entsprechend ihrem eigenen Rhythmus an ihren Sprachkenntnissen zu arbeiten, um schneller in ihrer jeweiligen Funktion zurechtzukommen. Für das selbständige, berufsbezogene Lernen bieten Verlage wie Hueber ausgezeichnetes Material.

6. Fazit: Sprachliche und inter­kulturelle Kompetenz bleiben unverzichtbar in der Geschäftswelt

Bis die Künstliche Intelligenz die Komplexität gelungener, zwischenmenschlicher sprachlicher Interaktion zwischen Verhandlungspartnern verschiedener Kulturen vollauf ersetzen kann, wird es wohl noch eine Weile dauern. Bis dahin ist ein differenziertes, auf die sprachlichen und interkulturellen Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnittenes Sprachangebot eine Schlüsselinvestition in Mitarbeiter:innen, um den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zu gewährleisten.

Antje Witzel ist Mitgründerin und CEO von Lingoplanet. Seit über 30 Jahren arbeitet sie als Dozentin, Deutschlehrerin und Konferenzdolmetscherin für Deutsch, Englisch, Französisch, Portugiesisch und Italienisch für zahlreiche Unternehmen des Privatsektors. Sie hat in Deutschland, der Schweiz, Japan, dem Vereinigten Königreich, den USA, Mosambik und Kamerun gelebt, und pendelt derzeit zwischen Lomé und Berlin.