Sprachen lernen

Wie mir mein Beruf der Konferenzdolmetscherin beim Konzipieren von Fachsprachkursen hilft

Antje Witzel
Antje Witzel
CEO Lingoplanet GmbH

Seit rund 35 Jahren arbeite ich als Konferenzdolmetscherin für Deutsch, Englisch, Französisch, Portugiesisch und Italienisch auf Gipfeltreffen wie G7 und G20, für den Europarat, die Weltgesundheitsorganisation, die Olympischen Spiele, sowie viele Unternehmen und Organisationen des Privatsektors.

Oft wird man als Dolmetscherin gefragt, wie man es denn schafft, die Terminologie in all diesen Bereichen in verschiedenen Sprachen perfekt zu beherrschen. Wie das möglich ist und warum mir meine Erfahrung als Dolmetscherin hilft, Kursteilnehmer:innen von Fachsprachkursen sprachlich in kürzester Zeit fit zu machen für ihren Beruf und ihre konkreten Aufgaben im jeweiligen Unternehmen, darum geht es im nachfolgenden Artikel.

Inhaltsverzeichnis

Was man versteht, kann man auch dolmetschen

Gezielte Vorbereitung in Aktiv- und Passivsprachen

Je mehr man über die Konferenz und die Teilnehmer weiß, umso besser kann man dolmetschen

Was man versteht, darüber kann man in einer Fremdsprache (leichter) kommunizieren

Effiziente Sprachkursvorbereitung durch bewährte Strategien aus dem Dolmetschen

Zusammenfassung: Effektive Verknüpfung von kurzfristigem Terminologieerwerb und langfristigem Fremdsprachentraining

Was man versteht, kann man auch dolmetschen

Nehmen wir einmal an, man hat mich gebeten, in einem Monat als Dolmetscherin auf einer Konferenz über Malaria zu dolmetschen. Wie schaffe ich es, in einem Monat mühelos Vorträge und Diskussionen zu diesem Thema dolmetschen zu können? Wie gehe ich vor?

Zunächst einmal werde ich so viel wie möglich über Malaria lesen und hören: in Publikationen der WHO, in Fachzeitschriften und allgemeinsprachlichen Veröffentlichungen, Podcasts und auf Youtube zugänglichen Vorträgen zum Thema. Denn um richtig zu dolmetschen, muss ich erst einmal verstehen, was ich da dolmetsche.

Gezielte Vorbereitung in Aktiv- und Passivsprachen

Vor allem werde ich viel in meiner Aktivsprache lesen und hören, d.h. in der Sprache, in die ich dolmetschen werde (bei der WHO dolmetsche ich beispielsweise simultan aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen ins Deutsche. Deutsch ist also meine Zielsprache/Aktivsprache). In dieser Sprache muss die Terminologie perfekt stimmen. In den anderen Sprachen, d.h. den Sprachen, aus denen ich dolmetsche (Passivsprachen), werde ich mir natürlich ebenfalls viel zum Thema anhören, damit ich beim Hören in diesen Sprachen die Termini sofort richtig erkenne und sie dann korrekt ins Deutsche dolmetschen kann.

Ich mache mir also nicht einfach ein mehrsprachiges Glossar mit Fachtermini, die ich auswendig lerne, sondern befasse mich mit den Termini im Kontext. Beim Lesen und Hören notiere ich mir alles für das Thema Malaria und Gesundheitspolitik Relevante: strittige Themen, Definitionen, Fachwörter, sowie alle anderen Wörter, die mir persönlich nicht so geläufig sind. Aus all diesen Wörtern mache ich dann ein mehrsprachiges Glossar.

Je mehr man über die Konferenz und die Teilnehmer weiß, umso besser kann man dolmetschen

In einem zweiten Schritt  bringe ich möglichst viel über die Konferenz und die Teilnehmer in Erfahrung. Was ist der Anlass der Konferenz? Wer sind die Redner? Worüber werden sie referieren? Welche Standpunkte haben sie bei vergangenen Konferenzen vertreten? Was hat sich seit der letzten Konferenz zum Thema Malaria verändert?

Ich recherchiere dazu die Biografien der Referenten, ihre Veröffentlichungen und Vorträge und ich schaue, ob ich sie möglichst auf Youtube finde, damit ich mich an ihre Art zu sprechen und ihren Akzent gewöhne.

Am Ende der Vorbereitung habe ich das Gefühl, die Referenten fast schon zu kennen, und wenn ich sie dann dolmetsche, kann ich manches, was sie sagen, oft sogar schon ein wenig antizipieren. Dabei ist natürlich Vorsicht geboten: Man sollte als Dolmetscher nie denken, dass man klüger ist als der Redner, den man dolmetscht. Die Tatsache, dass ich mich einen Monat lang intensiv mit der Thematik Malaria auseinandergesetzt habe, macht mich noch lange nicht zum Spezialisten. Im Vergleich zum Redner, beispielsweise einer Epidemiologin mit Fachgebiet Malaria, über das sie seit Jahrzehnten recherchiert, bin und bleibe ich nur die Sprachmittlerin. Trotzdem bin ich durch meine Vorbereitung in der Lage, die Botschaft, die sie vermitteln möchte, verständlich und richtig “rüberzubringen”. 

Und genau damit kommen wir zum Thema fachsprachlicher Fremdsprachenunterricht:

Was man versteht, darüber kann man in einer Fremdsprache (leichter) kommunizieren

Nehmen wir an, eine Gruppe indischer Parasitologen plant, an einem deutschen Universitätsklinikum im Forschungsteam eines deutschen Professors, spezialisiert auf Tropenmedizin und insbesondere Malaria, mitzuarbeiten. In ihrer zukünftigen Arbeit müssen sie im Team auf Deutsch kommunizieren. 

Effiziente Sprachkursvorbereitung durch bewährte Strategien aus dem Dolmetschen

Beim Konzipieren des Deutschkurses gehe ich z.T. ähnlich wie als Dolmetscherin beim Vorbereiten einer Malaria-Konferenz vor, d.h. ich mache mir die von mir seit langem erprobten und bewährten Strategien zunutze: Ich suche möglichst viel konkretes Material zu diesem Thema: Publikationen zum Thema Malaria auf Deutsch, bisherige Veröffentlichungen des Forschungsteams und des Professors, Vorträge auf Youtube, Biografien der Teammitglieder etc.

Was man nicht vergessen darf: Anders als ich in meiner Arbeit als Dolmetscherin sind die indischen Mediziner Fachleute auf dem Gebiet der Malaria. Die Herausforderung für sie besteht also nicht im Fachgebiet, sondern einzig und allein in der Kommunikation über dieses Fachgebiet auf Deutsch. Trotzdem gilt hier der bereits genannte Satz in abgewandelter Form: Was man versteht, darüber kann man in einer Fremdsprache leichter kommunizieren.

Im Deutschunterricht muss man den indischen Kursteilnehmern nicht erklären, was Malaria ist. Das wissen sie besser als der Lehrer. Aufgabe des Lehrers ist hingegen, Material zum Thema Malaria so zu präsentieren, dass die Kursteilnehmer mit Hilfe ihrer bereits vorhandenen Fachkenntnisse deutsche Fachtermini und ihre Verwendung in verschiedenen Medien identifizieren und verstehen. Das geschieht u.a. durch die Verwendung von Bildmaterial, Texten und Hörmaterial, bei dem die Teilnehmer ermutigt werden, Informationen selektiv herauszuhören, sowie  Rollenspielen und Schreibübungen, in denen sie lernen, deutsche Fachtermini aktiv zu verwenden. Ergänzt wird der Unterricht dadurch, dass aus fachsprachlichen Texten und Audios grammatikalische Strukturen abgeleitet werden, die den Kursteilnehmern die Werkzeuge an die Hand geben, die sie brauchen, um verständlich und zusammenhängend auf Deutsch kommunizieren zu können.

Zusammenfassung: Effektive Verknüpfung von kurzfristigem Terminologieerwerb und langfristigem Fremdsprachentraining

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Strategien des raschen Terminologieerwerbs aus dem Bereich Dolmetschen in angepasster Form auch im Fremdsprachenunterricht gut einsetzen lassen, vor allem wenn es darum geht, Aufgaben in einer Fremdsprache kurzfristig zu bewältigen und über Fachthemen in einer Fremdsprache schnell kommunizieren zu müssen. Damit Lernende die Fremdsprache jedoch langfristig beherrschen und solide Sprachkenntnisse entwickeln, sollte diese zeitnahe sprachliche Vorbereitung auf konkrete Aufgaben durch längerfristigen, berufsbegleitenden Fremdsprachenunterricht ergänzt werden, in dem das Gelernte regelmäßig angewendet und vertieft wird.